Khorchide: Den Koran historisch-kritisch lesen
Ausgangspunkt der Überlegungen des Münsteraner Islamwissenschaftlers Prof. Mouhanad Khorchide bei seinem Vortrag am Dienstag im Rahmen der "Salzburger Hochschulwochen" war das Beispiel vom Erbrecht in Bezug auf die Frau im Koran. Dort heißt es:
"Allah empfiehlt euch hinsichtlich eurer Kinder: Einem männlichen Geschlechts kommt ebenso viel zu wie der Anteil von zwei weiblichen Geschlechts..." (4:11)
Dazu erklärte Khorchide, dass es unterschiedliche Zugänge zum Islam gebe - nämlich einen geschlossenen und einen offenen: Die eine Zugangsweise nimmt die Abgeschlossenheit des Korans an und die Texte infolge wortwörtlich. Der offenere Zugang hingegen sieht das Ganze dialogisch: Gott und Mensch stehen in Beziehung zueinander - eine dialogische Durchdringung, die zugleich nach einer zeitgerechten und zugleich historisch-kritischen Interpretation des Koran verlangt.
Khorchide erklärte zu der oben zitierten Erbrecht-Stelle, dass der Koran sehr lange mündlich übertragen wurde - der erste Druck erfolgte erst 1923. Der Koran wurde zuvor immer nur als Kommunikation wahrgenommen und verkündet, also war die Quintessenz oft Interpretationssache. Man müsse diese Passage daher in den historischen Kontext einbetten: Früher wurde an Mädchen gar nichts vererbt. Der Grund war recht simpel: man wollte dem anderen Stamm, in den die Frau vielleicht einheiratete, nicht das Geld des eigenen Stammes überlassen. Damals war es nämlich üblich, dass die Frau ganz zum Stamm des Mannes ging und dabei das ererbte Vermögen mitnahm.
Der Prophet bzw. Autor des Koran wollte mit dieser Passage daher einen Fortschritt bewirken, indem er der Frau auch einen Teil zusprach - gewiss einen kleineren, aber doch einen verbrieften Anteil. Die Passage, die heute wie ein Relikt aus vormoderner Zeit wirkt, galt in ihrer historischen Einordnung somit als modern und fortschrittlich.
Diese Passage stehe zugleich pars pro toto für zahlreiche Passagen des Koran, der insgesamt historisch-kritisch zu lesen sei. Mohammed habe einen Wandel, eine soziale Verbesserung in dem Fall konkret für Frauen im Sinn gehabt - auch wenn dies, ähnlich wie bei zahlreichen anderen Koran-Passagen, heute erst wieder in seiner historischen Wahrheit freigelegt werden müsse.
Autorin: Isabella Oberortner