P. Max Cappabianca: Über die Komplexitätsfreudigkeit des christlichen Glaubens
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Weizen und Unkraut (Mt 13, 36-43)
Über die Komplexitätsfreudigkeit des christlichen Glaubens
Warum gibt es eigentlich vier Evangelien und nicht eins? Warum müssen es zehn Gebote sein? Hätte eines nicht genügt? Von Anbeginn scheint die Differenz in Gottes Heilswirken eingeschrieben zu sein, wie das Gleichnis vom „Unkraut“ verdeutlicht. Kann da der Glaube an einen dreifaltigen Gott Schneisen schlagen?
Das heutige Evangelium ist die Erklärung des Gleichnisses vom Unkraut, das wir am vergangenen Samstag in der Liturgie gehört haben. Anders als sonst erklärt Jesus hier ganz genau, wie er es gemeint hat: „Der Mann, der den guten Samen sät, ist der Menschensohn; der Acker ist die Welt; der gute Samen, das sind die Söhne des Reiches; das Unkraut sind die Söhne des Bösen und so weiter…
Die Sinnspitze ist, dass die Gerechten erst am Ende der Zeiten von den anderen geschieden werden, so wie das Unkraut vom Weizen. Das Unkraut soll also nicht vorher ausgerissen werden, weil sonst der gute Weizen in Mitleidenschaft gezogen werden könnte! Will sagen: Man muss ertragen, dass es im Hier und Jetzt inmitten der „Guten“ auch die „Bösen“ gibt…
Vordergründig ist alles klar!
Vordergründig! Denn man könnte ja gleich weiterfragen: Warum gibt es überhaupt das Unkraut? Wer ist eigentlich der Teufel, den das Evangelium mit dem „Feind“ identifiziert, der das Unkraut sät? Warum lässt Gott das überhaupt zu, wenn er doch alles gut geschaffen hat?
Hinter diesem Gleichnisbild stehen konkrete, leidvolle Erfahrungen. Differenzen in der Jüngerschaft, Meinungsunterschiede und handfester Streit sind nicht das Privileg der biblischen Gemeinden. Auch heute erleben wir die Gemeinde Gottes als ein Acker mit viel Weizen, aber auch mit sehr viel Unkraut!
Gestern schon hat Bischof Kohlhaas in seiner Predigt solche Dissonanzerfahrungen angesprochen und an das Ideal erinnert, dass unser Glaube einfach sein sollte! Und dennoch kann man sich ja fragen, warum es dann nicht einfacher und klarer ist!; warum gerade der Glaube nicht eindeutiger und entschiedener ist! Ersehnen wir uns nicht gerade Klarheit und Einfachheit, wo doch die Welt selbst immer komplexer zu werden scheint?
Ist es nicht gerade das Versprechen des Glaubens, solche Komplexitäts- und Differenzerfahrungen zu überwinden? Ist nicht überhaupt die Religion ein einziger Versuch, Kontingenz zu bewältigen, Dissonanz aufzulösen und Harmonie wiederherzustellen? Unter dieser Rücksicht wäre unsere Religion nämlich nicht besonders erfolgreich!
Ich glaube, es lohnt sich diese Differenzerfahrungen einmal unter einem theologischen Blickpunkt anzuschauen. Wir neigen nämlich dazu, die Differenzerfahrungen – dass es also Kraut und Unkraut nebeneinander gibt – als ein Nichterreichen des Ideals zu verstehen. Eigentlich „könnten wir“, aber wir schaffen es irgendwie nicht! Das erklärt auch, warum viele Menschen so enttäuscht sind. Die vielzitierte „moralische Fallhöhe“ kommt da ins Spiel … Müssten nicht grade die Katholiken… Und dann das!
Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich rechtfertige nichts. Dennoch glaube ich, dass so ein idealistisches Glaubensverständnis nicht unserm christlichen Gottesbild entspricht. Christusnachfolge ist kein moralischer Hochleistungssport. Wir kommen auf die schiefe Bahn, wenn wir meinen, das Unkraut unserer Tage immer sofort bekämpfen zu müssen, als würde es von uns abhängen!
Wir glauben nämlich, dass in Gott selbst die Differenz eingeschrieben ist! Dass Gott dreifaltig ist bedeutet, dass Differenz nichts Widergöttliches ist – im Gegenteil! In ihm gibt es ein Gegenüber. Gott ist Beziehung und schließt die Einheit, genauso wie die Differenz der Personen ein!
Und Gott bleibt nicht stehen: Er „entäußert“ sich und wird Mensch. Abstrakte Worte, aber ein konkretes Geschehen: Jesus ist im Dreck eines Stalles geboreb und war der Verfolgung eines kindermordenden Königs ausgesetzt. Er war der Leiter einer Jüngerschar, in der es an Differenzen nicht mangelte, bis hin zum Verrat, nicht nur des Judas, sondern auch des Petrus, des obersten Jüngers Jesu!
Und schließlich die Differenzerfahrung schlechthin: das Kreuz! Ich glaube da wird es dann klar! Im Tod Jesu wird die Differenz in die Mitte des Gottesbegriffs geholt. Oder etwas konkreter gesagt: Die Abgründe menschlicher Erfahrungen, und das ist der Tod, werden in das Herz Gottes eingeschlossen!
In diesem Licht müssen wir, meine ich, das Gleichnis vom Weizen und vom Unkraut lesen: Wer ein Christentum will, das rein ist und sich nicht den Abgründen menschlicher Erfahrung aussetzt, der wird enttäuscht werden. Das gibt es nicht! Unser Gott hängt dreckig am Kreuz und stirbt. So lernen wir, wie Gott mit Differenz umgeht. Indem er sie auf sich nimmt und trägt.
Liebe Schwestern und Brüder,
Vielleicht fragen Sie sich gerade ob ich für oder gegen das Unkraut bin! Natürlich bin ich für das Leben und damit gegen das Unkraut! Das Unkraut steht hier ja für das, was Leben nimmt und Fruchttragen verhindert. Aber wir Christen erkennen im Unkraut die Wirklichkeit dessen, wofür Gott Mensch geworden ist und wofür er sein Leben hingegeben hat. Noch einmal: So lernen wir, wie Gott mit Differenz umgeht. Indem er sie auf sich nimmt und trägt.
Wenn wir das genauso machen, dann werden wir – wie es das Evangelium vorschlägt – vorsichtig und überlassen Gott das Urteil. Gott wollte die ganze Welt erlösen. Diesen Glauben sollten wir uns – gerade angesichts der Komplexitäten dieser Welt – nicht rauben lassen!
P. Maximiliano I. Cappabianca OP
Institut Marie-Dominique Chenu, Berlin