Philosoph: Ideologisch verblendete Angst vor Internet überwinden
Das Silicon Valley ist weit mehr als ein Innovationsknotenpunkt der Online-Gesellschaft: Es ist eine große Ideologieschleuder, die es auf sehr viel mehr abgesehen hat als nur auf das schnelle Geld - es geht um eine tiefgreifende Manipulation des menschlichen Selbstverständnisses: Mit dieser These hat der Bonner Philosophie-Professor Markus Gabriel den zweiten Tag der "Salzburger Hochschulwochen" eröffnet. Nach seinem gestrigen Auftakt mit dem Ziel einer Vertreibung der Postmoderne hielt Gabriel heute das Brennglas über die sogenannte Internetphilosophie und die ideologisch verbrämte Angst vieler Menschen vor dem Internet. Sein Ziel: Die Verteidigung der Wirklichkeit gegen jene, die Wirklichkeit nur mehr auf eine Abfolge neuronaler Rechenprozesse reduzieren wollen.
"Das Internet ist heute eine Quelle von Ideologie und Selbsttäuschung, weil unsere Vorstellung vom Internet und von dem, was es sei, Ideologie ist. Das Internet an sich ist so wenig ideologisch wie ein Telefonbuch", so Gabriel lapidar. Dies gelte es zu durchschauen, wenn man die grassierende "Technophobie" überwinden wolle. Da indes das Netz eine gigantische Marktmaschine darstelle mit einer enormen Wertschöpfung, zu der viele gratis Inhalte beisteuern (Stichwort Social Media), während wenige damit sehr viel Geld verdienen, habe sich eine eigene philosophische Richtung etabliert, die genau dies verschleiern wolle, argumentierte Gabriel. Diese "Internetphilosophie" begreife Wirklichkeit als Vernetzung der Dinge, als reine Rechenprozesse.
Die Folgen seien gravierend, so der Bonner Philosoph weiter, insofern der Mensch als autonom handelndes und erkenntnisfähiges Subjekt zu verschwinden drohe. "Für die Internetphilosophen spielt der Mensch keine Rolle mehr - das Bewusstsein ist nur mehr eine Rechenschleife im Gehirn". Der menschliche Geist werde so eliminiert. "Aber auch wenn die Internetphilosophie uns einreden möchte, wir seien nur mehr eine Nummer, eine IP-Adresse, so bleiben wir doch, was wir sind: Menschen."
Ideologiekritik heute würde daher bedeuten, die neu deutlich zu machen und daraus auch auf eine neue Wertschätzung des demokratischen Rechtsstaates zu schließen und diesen etwa gegen die Versuchung des Populismus zu verteidigen: Schließlich sei dieser Rechtsstaat als "Demokratie der potenziell Dissentierenden" zu verstehen, also als eine Republik von Menschen, die in Dissenzen leben und diese artikulieren. Dissenzen ergeben sich laut Gabriel notwendigerweise aus der Vielheit der Betrachtungsweisen von Wirklichkeit. Der Populismus versuche, diese Komplexität zu reduzieren - und sei daher Ideologie. "Wir dürfen uns keine Vereinfachung zumuten. Das ist die normative Idee der Demokratie", so Gabriel.