"Doomscrolling ist für mich Gift, Musik lädt meine Batterien auf"
Martin, heute endet die SHW 2024. Welche Erlebnisse, Erfahrungen, Ereignisse werden dir davon besonders in Erinnerung bleiben?
Ich bin ja immer geneigt, hier intuitiv diplomatisch vage zu antworten – nämlich dass es ein Bündel von großartigen Vorlesungen und Begegnungen war und dass es unfair wäre, hier etwas besonders hervorzuheben. Und das ist ja nicht bloße Höflichkeitsfloskel, sondern stimmt ja auch in der Sache: Eine solche Woche bringt immer eine Serie von Höhepunkten mit sich! Zugleich muss ich allerdings gestehen, dass in diesem Jahr für mich persönlich das Gespräch mit Igor Levit ein absolutes Highlight war – unprätentiös, unkompliziert, pointiert, authentisch und erfrischend! Daneben wird mir vor allem der Lebenswerkpreis für Hans-Joachim Höhn in Erinnerung bleiben, v.a. sein Plädoyer für eine aphoristische Theologie. Und: Wir hatten gut besuchte Vorlesungen mit über 800 TeilnehmerInnen – das ist in volatilen Zeiten erstaunlich, es freut mich sehr und zeigt, dass unser Thema an der Zeit war.
Das Thema war Vertrauen; was nimmst Du persönlich etwas mit aus den Vorlesungen?
Hier muss ich ein Lob der jungen Generation singen – die Vortragenden beim Publikumspreis waren nicht nur kommunikativ, sondern auch inhaltlich stark: Ich habe hier z.B. mehr über KI gelernt als es bei ChatGPT selbst möglich gewesen! Auch das Plädoyer für partizipative Demokratie, das Prof. Stainer-Hämmerle an das Ende ihrer Vorlesungen stellte, war eindrücklich und hat mich überzeugt. Darüber hinaus nehme ich viel von einzelnen Begegnungen und Gesprächen mit – genau das ist ja ein wesentlicher Teil dieser Woche.
Im nächsten Jahr wird’s um die Frage gehen, was uns leben lässt – und was uns vielleicht vergiftet. Kannst Du kurz ausführen, was sich dahinter verbirgt?
Wir adressieren im nächsten Jahr eine Wahrnehmung, die viele von uns machen: Die aktuellen Herausforderungen verlangen uns gesellschaftlich wie individuell Energie ab – und stellen uns vor die Frage, wo wir neu Energie finden. Was lässt uns aufatmen, was lädt unsere Akkus auf, wo finden wir neu Kraft und Inspiration, kurz: Was lässt uns leben?
Warum der zweite Teil im Titel?
Weil die Lage komplexer ist: Es gibt nicht nur Dinge, die uns nicht bloß Energie kosten, sondern geradezu rauben und abziehen. Manches ist geradezu Gift für uns – genau das drückt das Mode-Vokabel 'toxisch' aus: Man spricht eben von toxischen Spiritualitäten, Beziehungen oder Männlichkeiten, von vergifteten Diskursen, aber auch von digital detox. Und weil es ja oft die Dosis ist, die das Gift macht, ist die Lage sogar noch komplexer. Diese Gemengelage wollen wir jedenfalls in den Blick nehmen: Wo finden wir als Gesellschaft, als Kirchen, als Einzelne neu Energie – was lässt uns leben und aufleben? Aber auch: Was sollten wir loswerden, weil es Gift für uns ist, wo brauchen wir sozusagen Entgiftung – und wie kann das gelingen?
Welche Antwort gibt der Obmann persönlich auf diese Fragen …?
Ich habe den Vorteil, hier nicht Wissen vorgaukeln zu müssen, ich darf ja kluge Köpfe einladen, um Antworten darauf zu hören – bei den Salzburger Hochschulwochen 2025. Rein persönlich betrachtet ist 'Doomscrolling' für mich Gift, also das unkontrollierte Konsumieren negativer Nachrichten im Netz; auf die Frage, was mich leben lässt, würde ich hingegen sagen: Musik – das lädt meine Batterien auf!
Abschließend: Welche (Abreisebegleit-)Tipps hat der Obmann? Musikalisch? Games? Alkoholisch…?
Vielleicht könnte man ja auch Igor Levits Rat befolgen – der schwärmte von rotem Wermut auf Eis mit Orangenschale. Allerdings habe ich damit keine Erfahrung; ich selbst habe die laufende Hochschulwoche über auf dem abendlichen Nachhauseweg immer wieder mal das neue Set von Fred again gehört – großartig! Aber vielleicht wird es mit rotem Wermut auf Eis sogar noch großartiger. ;-)
Martin Dürnberger leitet seit 2015 die Salzburger Hochschulwochen; im Wintersemester tritt er die neu geschaffene Professur für „Theologische Grund- und Gegenwartsfragen“ an der theologischen Fakultät Salzburg an.
Das Interview führte Henning Klingen