"Ich vertraue darauf, dass Gott einen Plan mit mir hat"
Das Format "Benedictine Banter" gehört inzwischen zu den Fixpunkten während der Salzburger Hochschulwochen. Drei Ordensleute - Sr. Eva Maria Saurugg (Nonnberg), P. Wolfgang Sigler (Münsterschwarzach) und P. Jakob Auer (St. Peter) bieten an drei Nachmittagen Studierenden Einblicke in das Kloster- und Ordensleben und reflektieren über das jeweilige Thema der Hochschulwoche aus monastischer Sicht.
Einblicke bieten Sr. Eva Maria Saurugg und P. Wolfgang Sigler außerdem im folgenden Interview (ein Interview mit P. Jakob Auer finden Sie HIER).
Bei den SHW 2024 ging es um das Thema Vertrauen. Wie erlebt ihr das ganz persönlich – tritt man euch, eurer Berufung, dem Orden, dem ihr angehört, mit Ver- oder eher mit Misstrauen entgegen?
P. Wolfgang Sigler: Ich kenne ein gewisses Zögern dem Orden gegenüber aus der eigenen Biografie. Ich bin 2015 zu den Benediktinern gegangen, da war die Missbrauchskrise bereits hochgekocht. Als ich das erste Mal mit dem Gedanken spielte, habe ich lange gezweifelt, ob ich das jetzt wirklich versuchen soll. Misstrauen dieser Idee oder auch mir selbst gegenüber war da schon ein Thema. Ist es nur eine Schnapsidee, oder ist da wirklich etwas? Da gibt es dann verschiedene Wege, das zu überprüfen – und damit Vertrauen zu fassen, dass dieser Weg wirklich meiner sein könnte: etwa das Gespräch mit Freunden, die Beratung mit erfahrenen Menschen.
Mein Kloster in Münsterschwarzach verbinden viele Menschen durch Besuche oder Aufenthalte im Gästehaus mit positiven Erfahrungen. Da erfahre ich wenig Misstrauen, das uns entgegengebracht wird. Andere Häuser mit Schulen, in denen Missbrauch vorkam, haben ganz anders zu kämpfen. Da sind Aufarbeitung und Transparenz zähe, manchmal schmerzhafte Prozesse, um Vertrauen neu zu begründen.
Sr. Eva-Maria Saurugg: Ich erfahre immer wieder, dass Menschen mir, bloß weil ich Ordensfrau bin, von vornherein Vertrauen entgegenbringen. Das äußert sich z.B. in einem freundlichen Gruß oder Lächeln oder auch in einem spontanen Gespräch.
Was sind die Gründe, dass Menschen (so mal eine Grundannahme, die ja durch regelmäßig erstellte "Vertrauensindizes" bestätigt wird) Kirche insgesamt offenbar immer weniger trauen/vertrauen?
P. Wolfgang Sigler: Neben der Missbrauchskrise, der Hierarchiefrage, der Frauenfrage usw. gibt es, so glaube ich, einen davon unabhängigen Loslösungsprozess aus kirchlichen Strukturen, in denen man sich nicht mehr wohlfühlt – und das schon seit längerem. Manchmal gibt es noch so etwas wie ein 'schlechtes Gewissen', vielleicht weil es Eltern und Großeltern wichtig wäre, dass man mit der Kirche verbunden bleibt. Aber die kirchliche Gemeinschaft verlangt etwas von mir – das kann schon unbequem sein, wenn ich nicht überzeugt bin. Die Frage nach dem Vertrauen kann die Frage nach der unbequemen Verbindlichkeit, aus der man sich gerne lösen mag, überdecken. Aber klar, das ist ein komplexes Ineinander ganz verschiedener Dinge.
Was wären Gegenmaßnahmen?
P. Wolfgang Sigler: Auf diesen Hochschulwochen habe ich wieder gehört, dass das Vertrauen in die Kirchenleute vor Ort oder auch in die Caritas, Kindergärten, Krankenpflege, Hilfswerke etc. durchaus vorhanden ist. Zugleich ist der Anreiz für Verantwortliche in diesem Bereich gering, sich mit "der Kirche", dem Bischof, dem Papst zu identifizieren – persönlich wie öffentlich. Wer gehört schon gern zu einer "Täterorganisation"? Ein schlimmes Wort.
Aber vielleicht könnten wir uns auf die eigentliche Identifikationsfigur verständigen: Es geht um Christusnachfolge – um Jesus, der Kranke geheilt hat, der nicht dem Priesterstamm angehörte und doch die Menschen beten lehrte. Freilich arbeiten nicht mehr nur Katholiken in unseren Kindergärten, Schulen, Pflegestationen. Und doch investiert die Kirche Zeit und Geld – das darf gesagt und gezeigt werden. Ich frage mich schon, wie rasch viele Dinge an ein Ende kämen, wenn man die Kirchensteuer wirklich abschaffen würde ...
Und im Übrigen entsteht Vertrauen von unten. Die Zeit der Bindung an die Kirche als Institution – unterfüttert von einer robusten gesellschaftlichen Erwartungshaltung – ist vorbei. Daher braucht es um so mehr die Arbeit vor Ort durch Haupt- und Ehrenamtliche, die ein kleines Kreuz um den Hals tragen. Oder manchmal einen Habit, wie wir Ordensleute.
Wie wichtig ist Vertrauen eigentlich innerhalb einer Ordensgemeinschaft? – Und wie verhält sie sich zu Ordensregeln, Gehorsamspflichten etc.?
P. Wolfgang Sigler: Das darf man nicht überziehen, und doch ist es wichtig. Einerseits sind wir keine Familie, auch wenn wir uns mit "Pater" (Vater), Bruder und Schwester anreden. Diese Metapher ist in sich schon anfragbar: Nicht in jeder Familie herrscht Vertrauen, und die Benediktsregel meinte erst einmal den Paterfamilias, der eine Großfamilie samt Hausstand übersah. Zugleich werden unsere Gemeinschaften kleiner und damit auch vertrauter miteinander. Wo früher vielleicht fünfzig waren, sind heute zehn beisammen. Man kennt sich und ist insgesamt näher beieinander als in früherer Zeit. Das steigert aber auch das Konfliktpotential – und Vertrauen im belastbaren Sinne wird wichtiger.
Entsprechend funktioniert Gehorsam heute auch ganz anders als in alten Zeiten, in denen wohl schon der Befehlston vorherrschte, mal laut, mal leise. Es kommt mehr auf die gemeinsame Überzeugung an. Und Eigenverantwortung wird ein größeres Thema, weil wir nicht mehr so reguliert leben (können) wie ehedem. Eigentlich bin ich froh darum. Es ist ein Sich-Reiben und Zusammenarbeiten, ein Austarieren zwischen Eigeninteresse und Bedürfnissen der Gemeinschaft, das wir heute gemeinsam gestalten. Ich denke mir oft: Da habe ich viel mehr Einfluss als in irgendeinem Bürojob.
Sr. Eva-Maria Saurugg: Für jede Gemeinschaft – egal ob Ordensgemeinschaft oder eine Partnerschaft – ist das gegenseitige Vertrauen wesentlich, sonst wäre es ja nur ein Zusammenleben von Menschen, die einander mehr oder weniger mit Argwohn beäugen, aber kein Ort, an dem erfülltes Leben möglich ist. Wo es an Vertrauen fehlt, nimmt im gleichen Maß die Angst zu. Denn fehlendes Vertrauen führt unweigerlich zu Verunsicherung und Angst.
In einer Ordensgemeinschaft ruht das Vertrauen auf zwei Säulen: zum einen auf Gott, der jede/n einzelne/n Mitschwester/Mitbruder auf diesen Weg der Nachfolge gerufen hat, und zum anderen auf der gegenseitigen ganz konkreten Vertrauenszusage in der Profess, in der sich die neue Schwester/ der neue Bruder auf Lebenszeit an die Gemeinschaft bindet. Weder der Einzelne noch die Gemeinschaft weiß genau, wie die Zukunft aussehen und was sie mit sich bringen wird, doch im Akt der Profess erfolgt ein gegenseitiges Versprechen des Mittragens, Mitgehens und des Füreinander-Daseins.
Niemand kann allein aus eigener Kraft eine so weitreichende Entscheidung wie ein Ja für das ganze Leben geben, sondern nur im Vertrauen auf Gottes Hilfe und den Beistand der Mitschwestern/Mitbrüder, die ihr/ihm in der Zulassung zur Profess dieses Mitgehen und Mittragen alle Tage zugesichert haben; nur so kann die Nonne/der Mönch diese quasi Blanko-Unterschrift für den Scheck seines Lebens leisten.
Im Alltag manifestiert sich dieses Ja in der Orientierung des eigenen Lebens an der gemeinsamen Ordensregel, den Werten und auch Gepflogenheiten der Gemeinschaft und im Bemühen um ein gutes, fruchtbares Miteinander. Ein Vertrauen, das sich nicht durch konkrete Zeichen und Taten manifestiert und genährt wird, verkümmert und zerbricht früher oder später; dafür ist es ein zu fragiles Gut.
Eine letzte – persönliche – Frage: Wie läuft das mit dem Gottvertrauen bei euch persönlich? Ihr seid alle noch jung und habt doch bereits eure Gelübde abgelegt – also ihr vertraut: auf Gott im Glauben, auf euch und eure Berufungsfestigkeit, darauf, dass der Orden, euer Orden eine Zukunft hat … Wie geht ihr mit Zweifeln, mit Erfahrungen des – zumindest zeitweisen – Vertrauensverlustes um?
P. Wolfgang Sigler: Ich bin gerade inmitten in einer großen Klerikalismus-Debatte zum Priester geweiht worden. Das war für mich kein völlig klarer Schritt und durchaus mit der ein oder anderen schlaflosen Nacht verbunden. Als Primizspruch habe ich aber eine Formulierung der Benediktsregel gefunden, die mir hilft, zu vertrauen, dass es gut gehen kann: Ad quod ingreditur. Der Novize muss wissen, zu was er gekommen ist.
Ich bin nicht ins Kloster gegangen, um Priester zu werden, sondern zur aufrichtigen Gottsuche, zum gemeinsamen Gottesdienst, mit Bereitschaft zum Gehorsam und Hinhören auf Gott, den Abt, meine Gemeinschaft, auch wenn da manches Hindernis auf dem Weg sein wird. So lauten in etwa die vier Prüfkriterien zur Aufnahme in eine benediktinische Gemeinschaft. Es geht also, wenn ich gut in meiner Gemeinschaft verankert bin und bereit bin, dafür Energie aufzuwenden. Und wenn es immer wieder Momente gibt, da ich mich an Gott zurückbinde. Wie wir es zur Eröffnung im Stundengebet singen: O Gott, komm mir zu Hilfe. Es geht nicht allein, aber mit meinen Mitbrüdern und Gottes Beistand kann es gehen.
Sr. Eva-Maria Saurugg: Ich vertraue darauf, dass Gott einen Plan mit mir, meiner Gemeinschaft und mit diesem Kloster hat. Die Abtei Nonnberg ist nicht in erster Linie "unser" Nonnberg, sondern sein Nonnberg. ER hat jede von uns an diesem Ort berufen; unsere Aufgabe ist es, das uns Mögliche zu tun und für alles andere auf Ihn zu vertrauen, oder wie es der hl. Ignatius von Loyola sagt: "Handle so, als ob alles von dir abhinge, in dem Wissen aber, dass in Wirklichkeit alles von Gott abhängt." Dieses Vertrauen, dass Gott die weitere Sicht hat, hilft mir den Weg auch dann mit Zuversicht zu gehen, wenn es eng wird.
Interview & Fotos: Dr. Henning Klingen