"Hefte raus, Diktat!" - Ein launiger Nachmittag mit Igor Levit
Salzburg, 30.7.2024 (SHW) Ist er das tatsächlich? Verstohlene Blicke, geflüsterte Fragen von Studierenden, dann ein Nicken. Ja, es ist tatsächlich der weltberühmte Pianist Igor Levit, der am Montagnachmittag in den semi-bequemen Drahtkorbstühlen im Foyer der Theologischen Fakultät sitzt. Sonnenbrille, Baseball-Cap, Earpods. Und er wartet auf seinen "Auftritt" - ausnahmsweise nicht vor ausgesuchtem Festspielpublikum auf großer Bühne, sondern vor Studierenden der Salzburger Hochschulwochen. "meet the artist" nannte sich das besondere Format.
In einem launig-luftigen Talk, moderiert von Hochschulwochen-Obmann Martin Dürnberger, präsentierte sich der Pianist als grundsympathischer Kumpel-Typ von nebenan - zugleich aber auch als Mensch, der für klare politische und gesellschaftliche Botschaften steht. "Klavierspielen ist mit Abstand der leichteste Punkt in meinem Leben", verwies Levit auf dieses zivilgesellschaftliche Engagement, für das er nicht selten auch angefeindet wird. Wer etwa glaube, Antisemitismus nach dem 7. Oktober 2023 sei ein neues oder überraschendes Phänomen, der müsse wohl schon seit Jahren auf dem "Planeten Druidia" gelebt haben, so Levit in Anspielung auf Mel Brooks absurd-witzigen Weltraumfilm "Spaceballs".
"Komme einem Kinski-Moment immer näher"
Sein stiller Wunsch sei es jedenfalls, dass sich mehr Menschen an den Kategorischen Imperativ halten - das sei die Basis des Zusammenlebens und des Dialogs. "Ich rede mit jedem, der mir nicht den Tod wünscht." Gegnerschaft sei OK, Feindschaft nicht. Wobei er sich manchmal dabei ertappe, einem "Kinski-Moment immer näher zu kommen" - einem Moment also, in dem er am liebsten frei von der Leber weg sagen wolle, was er sich denke.
Levit präsentierte sich in all dem frei von jeglichen Allüren, fühlte sich im Austausch mit den Studierenden auf "Du"-Augenhöhe sichtlich wohl. Wenn ihm sein stressiger Tour- und Konzertalltag zu viel wird? - Dann braucht er Freunde um sich. Musik weniger. Überraschend auch, dass er sich keine bewussten Interpretationen für seine Stücke zurechtlege, dass er keinem bewussten interpretatorischen Schema folge, sondern sich dies im Auftritt und im Zusammenspiel mit dem Orchester ergebe.
Die Hochschulwochen wären nicht die Hochschulwochen, wenn nicht auch eine Frage nach dem Stellenwert von Glaube und Relig... "Nein!" unterbrach Levit charmant und bestimmt zugleich. Darüber mache er sich nicht viele Gedanken. "Glaubst du an Gott?" "Ja" "Dann glaubst du an einen Gott mehr als ich. Ich glaube an den Menschen - und das ist alles, was ich brauche".
Salzburg - "wie ein Zuhause"
Salzburg, das ist dem weitgereisten Pianisten heute eine Art Heimspiel. Kinderspiel, denkt man, ist es doch die Heimat der Hochkultur, speziell in diesen Festspieltagen. Aber Levit meint das auch sehr "erdig" und biografisch - schließlich hat er hier einige Jahre gelebt, studiert - sich die erste Abfuhr bei Frauen geholt und auch sonst alles erlebt, was man mit Studentenleben verbindet. "Mit den Salzburger Sommern verbinde ich etwas Leichtes und Natürliches. Das ist wie ein Zuhause."
Und es passte zum leichtfüßigen Dialog mit den Studierenden, der Levit augenscheinlich Freude bereitet hat, dass er den jungen Teilnehmern einen Getränke-Tipp für einen eben solchen luftigen Sommerabend mit auf den Weg gab: Roter Wermut auf Eis mit Orangenschale. "Und jetzt Hefte raus, Diktat", scherzte er abschließend in Anspielung auf den Lehrveranstaltungscharakter, den er und die Studierenden erfolgreich von Beginn an unterlaufen haben.
Text & Fotos: Henning Klingen