Mediziner: Mehr Therapie führt nicht zu mehr Lebensqualität
Ein Mehr an Therapie in der Medizin führt nicht notwendigerweise zu einem Mehr an Lebensqualität - im Gegenteil könne eine bewusste Reduktion wie etwa ein Behandlungsabbruch dazu beitragen, bei entsprechender Begleitung Lebensqualität auch in Situationen unheilbarer Erkrankungen zu erhalten: Darauf hat der Münsteraner Psychiater, Neurologe und Theologe Gereon Heuft hingewiesen. Heuft äußerte sich am Freitag im Rahmen der Salzburger Hochschulwochen, wo er zum Thema "Fantasie der Unbegrenzten im Spiegel begrenzten Lebens" referierte. "Wir müssen uns fragen, ob wir nicht zur Idealisierung unserer Therapieziele neigen - immer mehr, weiter, länger - und ob bei schweren Erkrankungen der Behandlungsweg nicht auch in Richtung einer palliativmedizinischen Behandlung weiterführen kann."
Anders gesagt: Die Psyche spiele eine viel wichtigere Rolle im Prozess von Genesung und auch im Verlauf von Erkrankungen, als es die Medizin bisher erkannt habe, so Heuft, der u.a. bis 2022 den Bereich Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Universitätsklinikum Münster geleitet hat. 2016 hat er außerdem in Katholischer Theologie promoviert.
Als Arzt habe er häufig die Erfahrung gemacht, wie wichtig es für Kranke sein kann, "irrationale Hoffnungen auf Heilung aufgeben zu können, das 'Kämpfen' gegen eine unaufhaltbare Tumorerkrankung aufgeben zu können und ein inneres Einverständnis in das eigene Sterben geben zu können." Dies sei dabei laut Heuft keineswegs mit einer Fügung in die Hoffnungslosigkeit gleichzusetzen - die Frage und Aufgabe für eine Begleitung dieser Patienten laute vielmehr: "Worauf richtet sich die Hoffnung, wenn ich weniger Therapeutisches mache?"
Eine Antwort und Trost böte etwa das "Hohelied der Liebe", wo es in 1 Kor 13,13 heißt: "Für jetzt bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; / doch am größten unter ihnen ist die Liebe." - Die Liebe, so Heuft abschließend, "macht nichts mehr - sie ist einfach da."
Agrarökonom: EU tut zu wenig in Bezug auf Nachhaltigkeit
Der Berliner Agrarökonom und Leiter des Thinktanks Agora Agrar, Prof. Harald Grethe, betonte in seinem anschließenden Vortrag, dass die Europäische Union nach wie vor zu wenig tue, um die Nachhaltigkeitsziele zu erreichen - und zwar vor allem im Blick auf die Bereiche Landwirtschaft und Ernährung, die zusammengerechnet bis zu 25 Prozent der Emissionen in der EU ausmachen. Hier sei weiterhin "viel Luft nach oben" - ebenso wie im Bereich des Tierwohls.
Insgesamt brauche es sowohl eine Reduktion im Bereich der Produktion als auch im Bereich des Konsums. Dies sei jedoch nicht allein durch individuelle Verhaltensänderungen zu erreichen, sondern es brauche ebenso politische Steuerung bzw. Änderung bei den Rahmenbedingungen. "Es fehlt an politischer Gestaltung - aber wir müssen uns auch persönlich an die eigene Nase fassen", so Grethe.
Das Einsparungspotenzial sei jedenfalls groß - ebenso die Chancen, durch entsprechende Reduktion und Steuerung ein Mehr an Biodiversität, Klimaschutz und Tierschutz zu erreichen, "und zwar ohne, dass die Produktion deswegen ins Ausland abwandert", zeigte sich Grethe überzeugt.
Text und Fotos: Dr. Henning Klingen