Theologe: Krise der Kirche zeigt sich auch in Krise der Liturgie
Die Krise der katholischen Kirche zeigt sich nicht nur in den immensen Austrittszahlen oder den erhitzten Debatten über Synodalität und Reformen, sondern auch im Herzstück kirchlichen Lebens, dem Gottesdienst. Das hat der Erfurter Liturgiewissenschaftler Prof. Benedikt Kranemann bei einem Vortrag am Montag in Salzburg betont. "Die Krise der Kirche ist auch eine Krise der Liturgie." Dieser Niedergang sei "unübersehbar und wohl unvermeidbar, eventuell aber auch heilsam". Die Kirche müsse sich dieser Krise stellen, weil sie andernfalls "schlicht existenzgefährdend" sei. Mögliche Auswege aus der Krise böte mehr Mut zum Experiment, mehr Einbeziehung der Gemeinden in die Gestaltung der Liturgie und eine größere Nähe zur Lebenswelt der Menschen, zeigte sich Kranemann überzeugt.
Tatsächlich würden heute immer weniger Katholikinnen und Katholiken die Gottesdienste besuchen - und das, obwohl die Kirche darauf pocht, dass der Gottesdienst "der Höhepunkt (ist), dem das Tun der Kirche zustrebt, und zugleich die Quelle, aus der all ihre Kraft strömt", zitierte Kranemann aus dem Konzilsdokument "Sacrosanctum Concilium" (1963). Der Gottesdienst habe demnach eine "immense Bedeutung für das Selbstverständnis der Kirche" - umso alarmierender sei, dass nur mehr 5,7 Prozent der Katholiken in Deutschland regelmäßig Gottesdienste feierten.
Ein weiteres Anzeichen der Krise: Dieser Niedergang spiele sich in einem gesellschaftlichen Umfeld ab, in dem Rituale, Feste und Feiern einen hohen Stellenwert genießen, führte Kranemann weiter aus. Auch gebe es ein ungebrochenes Interesse an "Lebenswendefeiern". Dass Kirche hier nicht mehr anschlussfähig ist bzw. kirchliche Angebote nicht mehr überzeugten, habe nur bedingt mit der Säkularisierung zu tun - viele Probleme seien auch hausgemacht, etwa durch eine "irritierend fremde, aber nicht mehr produktiv-anstößige Sprache", durch Klerikalismus, durch bevormundende Haltungen von Priestern, mangelnde Sensibilität für ausgrenzende Machtkonstellationen in Gottesdiensten etc.
Immer häufiger gebe es unter Priestern gar einen "Mangel an Ritualkompetenz", brachte es Kranemann auf den Punkt. Es brauche daher "mehr Mut zum Experiment", eine größere Beteiligung der Gemeinden an der Gestaltung der Gottesdienste und eine größere Nähe zur Lebenswelt der Menschen.
Einbettung in Miteinander einer Gemeinschaft
Kranemann äußerte sich im Rahmen eines "Liturgie-Laboratoriums" (lit/lab) - einer Mischung aus Vortrag und Workshop zur Zukunft der Liturgie - bei den diesjährigen Salzburger Hochschulwochen. Impulse und Beispiele zur Krise und Zukunft der Liturgie bot neben Kranemann auch der Theologe, Priester und frühere Geistliche Rektor des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Christoph Stender.
Auch Stender verwies darauf, dass Liturgien den Menschen nur dann ansprächen, wenn sie auch Möglichkeiten der Identifikation und der Einfühlung böten und eingebettet seien in ein "kommunikatives Miteinander einer Gemeinschaft". Liturgie sei in dem Sinne zu verstehen als "das Tun des Volkes", zitierte Stender eine Übersetzung des Begriffs "liturgia" durch den Theologen Karl Rahner.
Entsprechend sei es geboten, nicht nur gottesdienstliche Traditionen strikt einzuhalten, sondern sie auch anlass- und publikumsabhängig zu erweitern und zu verändern. Schließlich mache es einen Unterschied, ob man einen Gottesdienst für eine kleine Gemeinde vorbereite oder für einen TV-Gottesdienst für ein Millionenpublikum vor dem Fernseher. "Wenn wir als Liturgen fungieren sollen - und alle Christen haben qua Taufe diese Befähigung -, dann müssen wir hinschauen, was Menschen an Bedürfnissen, Wünschen, Fragen, Erfahrungen mitbringen."
Text und Fotos: Dr. Henning Klingen